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Fehlerkultur – der richtige Umgang mit Fehlern

Jörg Fecke

Veröffentlicht am 28.09.2020 von Jörg Fecke

Fehler gehören zu unserem Alltag. Der Umgang mit ihnen ist aber nach wie vor problematisch. Wir können nur schwer Fehler eingestehen und noch schwerer über Fehler miteinander sprechen. Fatalerweise legen wir so die Grundlage für den nächsten Fehler. Aus Fehlern lernen setzt die Auseinandersetzung mit ihnen voraus.

Wieso wir uns mehr mit unseren Fehlern beschäftigen müssen und Organisationen sich mit einem Fehlermanagement auseinandersetzen sollten erläutert Prof. Dr. Jan Hagen.

ES: Herr Hagen, dass man aus Fehlern lernt ist eine Gewissheit, die wir schon seit unserer Kindheit kennen. Und dennoch gibt es gerade im Berufsalltag große Probleme mit Fehlern richtig umzugehen, wieso?

JH: Richtig, obwohl wir alle den Spruch „Aus Fehlern lernt man“ kennen, so richtig daran glauben wollen wir nicht. Nach wie vor ist ein Fehler sehr negativ konnotiert, es ist etwas schiefgelaufen. Gerade das soll ja tunlichst vermieden werden. Die Vermeidung von Fehlern hat ja in der schulischen Erziehung einen hohen Stellenwert. Daher kommt dann das schlechte Gefühl, wenn einem ein Fehler unterläuft. Versagensängste sind weit verbreitet. Schnell heißt es dann, wer Fehler macht, der ist seiner Aufgabe nicht gewachsen. Dabei hat ein weiteres Sprichwort ebenfalls Gültigkeit, „Irren ist menschlich!“.

ES: Aber wir wollen immer richtig liegen, woher kommt das?

JH: Zunächst einmal ist mir kein Kulturkreis bekannt, wo sich Menschen freuen Fehler zu begehen. Vielleicht haben wir in Deutschland aber auch Aufgrund unserer Arbeitskultur ein ganz besonderes Verständnis. Die erfolgreichsten Branchen, Maschinenbau und die Automobilindustrie sind stark von einem Drang nach Perfektion getrieben. Völlig nachvollziehbar, ein einziger Fehler im System eines Motors kann sich gravierend auf ein gesamtes Unternehmen auswirken.

ES: Die Fehlerkultur oder ein Fehlermanagement wird oft als lästig empfunden, muss das so sein?

JH: Eine funktionierende Fehlerkultur ist ein Prozess. Etablierte Routinen und Standards werden hinterfragt, das stößt selbstverständlich auf Widerstand. Außerdem müssen wir uns selbst reflektieren und ganz wichtig, daraus unsere Schlüsse ziehen. Das ist für viele Menschen eine große Herausforderung, wer will sich schon ausführlich mit seinen Schwächen auseinandersetzen? Dennoch, nur wenn wir unser Tun aufrichtig hinterfragen sind wir überhaupt in der Lage Dinge besser zu machen und so Fortschritt zu ermöglichen.

Jan Hagen

ES: Ein funktionierendes Fehlermanagement ist beispielweise in der Luftfahrt üblich, wie funktioniert das?

JH: Es ist sicher kein Zufall, dass gerade in die Luftfahrtbranche ein Fehlermanagement, das Crew Resource Management (Siehe Infokasten), etabliert hat. Hier haben Fehler oft gravierende Auswirkungen. Es gibt aber noch einen weiteren wichtigen Grund wieso gerade hier ein Fehlermanagement vorhanden ist. Mit dem Cockpit Voice Recorder und dem Flight Data Recorder werden große Mengen an Daten gesammelt. Bei den Auswertungen nach Flugunfällen wurde in den späten 1970er-Jahren ein Aspekt deutlich: Kapitäne, die eigentlich immer über mehr Erfahrung als Co-Piloten verfügen, verursachen fast 80% der Unfälle.

ES: Wie passt das zusammen?

JH: Kapitäne sind ganz normale Menschen und dementsprechend nicht fehlerfrei. Allerdings stehen sie am oberen Ende der Hierarchie im Cockpit. Es sind zahlreiche Fälle belegt, in denen ein Co-Pilot oder Flugingenieur einen Fehler bemerkt aber seinen Kapitän nicht darauf hinweist. Dafür gibt es mehrere Gründe. Vor allen Dingen liegt die Hemmschwelle den Vorgesetzten auf seinen Fehler hinzuweisen oft zu hoch, aber es kann auch daran liegen, dass die eigene Kompetenz als zu gering betrachtet wir. Macht der Co-Pilot dagegen einen Fehler, ist die Korrektur durch den Kapitän ein ganz einfacher Vorgang. Das ist der einfache Hintergrund für dieses scheinbare Paradoxon.

ES: Es müssen also strukturelle Hindernisse überwunden werden?

JH: Sicherlich gibt es Unternehmen und Branchen in sich eine Fehlerkultur besser umsetzen lässt als in anderen. Stark ausgeprägte Hierarchien behindern oft eine offene Feedbackkultur. Dabei sind die Hierarchien selbst nicht das eigentliche Problem, vielmehr sind es die damit verbundenen Vorstellungen der Menschen. Wenn eine OP-Ärztin beispielsweise ihre Hände nicht desinfiziert, dann hat eine Pflegekraft eine größere Hürde dies ihr gegenüber zu kommunizieren als anders herum. Je stärker das Hierarchiegefälle ist, desto schwieriger ist es, Vorgesetzte auf Fehler hinzuweisen.

ES: Inwiefern haben diese Hierarchien einen besonderen Einfluss auf ein funktionierendes Fehlermanagement?

JH: Hierarchien sind erst einmal grundsätzlich nicht schlecht, aber wir müssen die negativen Auswirkungen auf die Kommunikation im Blick behalten. Das Militär ist ein gutes Beispiel. Es existiert mittlerweile gleichzeitig eine sehr ausgeprägte Hierarchie und eine Fehlerkultur, insbesondere beim Einsatz in Krisen- und Kampfgebieten. Nach jedem Einsatz führen die Beteiligten sogenannte „After Action Reviews“ durch. Das ist sinnvoll, da in Einsätzen oft stressige Situation vorkommen, Stress begünstigt Fehlverhalten. Alle Beteiligten, unabhängig vom Dienstgrad, reflektieren nach einem Einsatz das Geschehene und ziehen gemeinsam daraus ihre Schlüsse. So werden Fehler in Zukunft aktiv minimiert.

ES: Wie kann man es besser machen?

JH: Im Rahmen eines Forschungsprojekts habe ich gemeinsam mit Kollegen bei israelischen Piloten eine interessante Beobachtung gemacht. Ihr Verhalten unterschied sich in einem Detail maßgeblich von dem ihrer deutschen Kollegen. Israelische Kommandanten sind sich ihrer hierarchischen Stellung bewusst und reagieren entsprechend. Durch eine aktive Feedbackkultur und vielen offenen Fragen ermuntern sie ihre Co-Piloten Prozesse zu kommentieren. Dadurch fallen Hürden und die Kommunikation gelingt, Fehler werden schneller erkannt und angesprochen, so dass genügend Zeit für eine Reaktion bleibt.

ES: Seit mehr als zehn Jahren kursiert immer wieder ein Ranking der gelebten Fehlerkultur. Deutschland belegt von 61 untersuchten Ländern den vorletzten Platz. Entspricht das dem Alltag in den Unternehmen?

JH: Diese Rankings sind mit Vorsicht zu genießen und es überrascht mich auch ein Stückweit. In den asiatischen Kulturen kommt das eingestehen eines Fehlers viel mehr einem Gesichtsverlust gleich. Im Vergleich zu den angelsächsischen Unternehmenskulturen haben wir allerdings große Probleme mit dem Scheitern umzugehen. Nach einer gescheiterten Unternehmensgründung gilt man schnell als Versager. Diesen Makel wird man dann in Deutschland nach wie vor schlecht los. Allerdings hat sich in den letzten Jahren viel getan. Regelmäßige Feedbacks oder Lesson Learned gehören in immer öfter zur Unternehmenskultur.

ES: Fehler wollen weder Angestellte noch Führungskräfte gerne zugeben, gibt es dennoch Unterschiede?

JH: Erstaunlicherweise gibt es durchaus Parallelen: Natürlich hat die schon erwähnte Krankenschwester eine große Hürde sich dem Chefarzt gegenüber offen zu äußern. Aber auch Vorgesetzte sind zurückhaltender bei der Fehleransprache als vielleicht erwartet wird. Im Rahmen einer früheren Studie konnten wir zeigen, dass sowohl Mitarbeiter als auch Führungskräfte ein Vier-Augen Gespräch bevorzugen. Man möchte auf keinen Fall jemanden bloßstellen.

ES: Nicht zuletzt durch das Inkrafttreten der DSGVO im letzten Jahr ist viel Bewegung in das Thema Datenschutz gekommen. Ist das eher von Vorteil oder Nachteil für eine gelebte Fehlerkultur?

JH: Der Zeitpunkt kann sicherlich vorteilhaft sein. In vielen Fällen ist die DSGVO nicht vollständig umgesetzt, Abläufe noch nicht endgültig definiert. Dieser Vorteil kann allerdings schnell zum Nachteil kippen. Wenn zum Beispiel Richtlinien eingeführt werden und sich herausstellt, dass diese sich mit dem Arbeitsalltag nicht in Einklang bringen lassen, dann haben wir ein Problem. Ändern wir die Richtlinie? Oder ignorieren wir sie etwa? Genau hier setzt übrigens das Fehlermanagement an. Mit einer offenen Kommunikation werden Schwächen angesprochen und angepasst. Leider herrscht aber oft noch der Gedanke „Es kümmert sich schon irgendwer darum, das ist nicht meine Baustelle“ vor.

ES: Cyberattacken nehmen seit geraumer Zeit stetig zu. Mailanhänge entpuppen sich als Mailware und legen ganze Krankenhausinfrastrukturen lahm. Kann ein funktionierendes Fehlermanagement hier eine Lösung sein?

JH: Beim Fehlermanagement geht es ja vor allen darum was passiert nachdem der Fehler begangen wurde, also die Korrektur. Sicher, wenn die Mitarbeiter richtig geschult und sensibilisiert sind, dann wissen sie mit verdächtigen Mailanhängen umzugehen. Bei frühzeitiger Entdeckung kann eine Ransomware noch entscheidend gestoppt werden. Dafür muss aber reagiert werden und das heißt auch, dass Mitarbeiter keine Angst vor Strafe haben dürfen, wenn Sie der IT mitteilen, dass sie einen zweifelhaften Anhang geöffnet haben. In den allerwenigsten Fällen ist ein Fehler allein verantwortlich für eine Katastrophe. Erst aus der fehlenden Korrektur kann sich eine Fehlerkette entwickeln bis zu einem Punkt wo es dann zu spät ist.

ES: Was sind den letztlich die Voraussetzungen für ein funktionierendes Fehlermanagement?

JH: Zunächst einmal muss in viele Fällen ein Bewusstseinswandel stattfinden. Fehler sind nicht toll, aber sie passieren nun einmal. Ein aktives Fehlermanagement ist eine besondere Form des Trainings. Man bereitet sich in gewisser Weise auf eine unbequeme Situation vor. Je häufiger das Training, um so wirksamer ist das Fehlermanagement. Das setzt aber voraus, dass wir uns aktiv mit unserer Situation auseinandersetzen. Selbstreflexion und eine ausgeprägte Kommunikation sind unumgänglich. Führungskräfte tun gut daran ehrlich offene Fragen zu stellen. Erst so entsteht ein Austausch über Hierarchiegrenzen hinweg und zeigt Schwächen, die so vielleicht vorher überhaupt nicht ersichtlich waren.


Über Jan Hagen:

Jan Hagen ist Associate Professor der European School of Management and Technologie (ESMT) in Berlin. Im Mittelpunkt seiner Forschung und Lehre stehen die Themen Führung, Fehlermanagement und Krisenmanagement, darunter insbesondere die Art und Weise wie Organisationen und Teams mit Fehlern umgehen. Neben Fachbeiträgen hat er 2013 das Buch “Fatale Fehler: Oder warum Organisationen ein Fehlermanagement brauchen” (Palgrave Macmillan) veröffentlicht. Im Frühjahr 2018 erschien sein letztes Buch „How could this happen – Managing errors in organizations“ (Palgrave Macmillan). Über seine Forschung wurde unter anderem in der BBC, The Economist, Financial Times, FAZ und Handelsblatt sowie Spiegel Online berichtet. Er unterrichtet in Programmen für Top-Führungskräfte in Unternehmen, aber auch für die deutsche Luftwaffe.

Crew Resource Management:

Das Crew Resource Management (CRM) ist in der zivilen Luftfahrt seit den 1980er Jahren Bestandteil der Ausbildung von Flugbesatzungen. Mit dem CRM wird die Kommunikation zwischen den einzelnen Crewmitgliedern gestärkt, hierarchisch bedingte Hemmschwellen abgebaut und so Möglichkeiten zur Fehlervermeidung beziehungsweise Lösung aufgezeigt. Zahlreiche Fast-Katastrophen sind durch gelungenes CRM in der Vergangenheit abgewendet worden.